Das Konzept der imperialen Lebensweise bietet eine macht- und herrschaftskritische Perspektive auf die materiellen, global organisierten Grundlagen unserer Art zu Leben, zu arbeiten und zu produzieren an (vgl. Brand/Wissen 2017). Die imperiale Lebensweise bezieht sich auf das Wohlstandsmodell der Mittel- und Oberschichten im Globalen Norden (und zunehmend auch der Schwellenländer des Globalen Südens), deren Lebensweise nur durch einen übermäßigen Zugriff auf Arbeit, Ressourcen und ökologische Senken realisiert werden kann. Der Alltag des komfortablen und modernen Lebens ist eng verbunden mit der ständigen Verfügbarkeit unzähliger Konsumgüter, die uns von vielen Orten der globalisierten und vernetzten Welt erreichen. Für die Herstellung vieler dieser Güter werden soziale und ökologische Folgen in Kauf genommen – in einem Ausmaß, das an die ökologischen und sozialen Grenzen der Erde stößt (vgl. I.L.A.Kollektiv 2017: 8).
Diese Lebens- und Produktionsweise wird als imperial bezeichnet, weil sie den prinzipiell unbegrenzten Zugriff auf Ressourcen, Raum, Arbeitsvermögen und Senken andernorts voraussetzt (vgl. Brand 2017: 28). Diese Verfügbarkeit wird je nach historischer Konstellation in unterschiedlicher Weise garantiert: Frühneuzeitlich in Gestalt von kolonialistischer und imperialistischer – also explizit gewaltförmiger – Politik; gegenwärtig einerseits durch machtpolitisch gestaltete, neokoloniale Ausbeutungs- und Abhängigkeitsstrukturen, andererseits durch neoliberale Globalisierungspolitik der Privatisierung, De-Regulierung und Reduzierung staatlicher Verantwortung.
„Warum ändert sich nichts, auch wenn immer klarer wird, dass diese Lebensweise das Potenzial hat, in nicht allzu ferner Zukunft die Natur – und damit die Lebensgrundlage aller Menschen – zu zerstören?“ (I.L.A.Kollektiv 2019: 8).
Neben der kritischen Analyse einer Lebensweise auf Kosten anderer sucht das Konzept auch nach Erklärungen für die feste Verankerung, die Stabilität und vermeintliche Alternativlosigkeit einer imperialen Lebens- und Produktionsweise. Die Ursache wird u.a. in der tiefen Verankerung dieser Lebensweise in den mentalen Infrastrukturen von Menschen, in ihren Alltagspraktiken und Gewohnheiten, den hegemonialen Wissensbeständen und deren Bedeutung in Bildungsprozessen gesehen. Mit der kritischen Analyse von Stabilitätsgaranten der imperialen Lebensweise werden aber auch Ansatzpunkte sichtbar, durch die Alternativen in die Diskussion geraten. Insbesondere in Zeiten sozialer und ökologsicher Krisen werden Risse in der hegemonialen historischen Konstellation sichtbar; vermeintliche Normalitäten können hinterfragt werden, reale, gelebte Nischenprojekte werden zu zukunftsweisenden solidarischen Alternativen, die als Vorausschau für grundlegende Veränderungen der gegenwärtigen Verhältnisse gedeutet werden können. Auch um diese konkreten Utopien eines guten Lebens für alle mit Schüler*innen im Sinne einer Zukunftsorientierung zu diskutieren, erscheint eine Einbindung des Ansatzes in den schulischen Unterricht gewinnbringend.